Romeo und Julia und Reacher
Herbst. Wie jeder weiß, hat diese Jahreszeit ungefähr 400
schöne Seiten. Denn immer im Herbst kommt Reacher. Und wenn Reacher kommt,
fallen statt der Blätter Schurken. In „Never Go Back“ gelangt Reacher endlich,
endlich, endlich ans Ziel seiner vier Romane dauernden Reise nach Virginia.
Hier möchte er Major Susan Turner persönlich treffen. Weil seine Nachfolgerin
als Kommandeurin der 110. ihm am Telefon so sympathisch war, hat Reacher keine
Mühe gescheut, um den Weg von South Dakota nach Virginia zurückzulegen. Klingt
wie die Überschrift nach Liebe, hat aber viel mehr zu bieten, gerade im
Gewaltbereich.
Wäre Reachers Flirtmission nicht sowieso mit erheblichen
Hindernissen verbunden und würde Reacher diese Hindernisse wie gewohnt mit dem
Taktgefühl und der Sensibilität einer Herde Büffel begegnen, wäre Lee Child
nicht der Boss im Thrillerbiz. Leider gehört es zu Childs Stärken, alle 30
Seiten eine neue Überraschung explodieren zu lassen. Das macht es schwer, nicht
zu spoilern. Was gesagt werden kann, ist dies:
- keine Überraschung an der Kopfnussfront
- nichts Ungewohntes im Bettsportsegment
- große Verblüffung innerhalb der ersten drei Kapitel
- zahlreiche Hillbillys
„Never Go Back“ ist gewohnt gut konstruiert. Leider gehört
dazu seit einigen Episoden auch, dass das Ende hinter dem zurückbleibt, was
Child noch vor ein paar Jahren abgeliefert hat. Dafür treibt er Reachers
Entwicklung hier ein gutes Stück voran und offenbart auch wieder etwas aus der
Geschichte des Riesen.
Nach zwei Dritteln der Story war ich sicher, dass sie ein Auf
innerhalb der Reihe darstellt. Die Zutaten sind alle da. Zwar ist die
Enttäuschung, die das Ende birgt, nicht groß und weltbewegend. Aber sie ist da.
Das eigentlich Große an der 2013er Version von Reachers Reise ist, dass Child sie
schon zum x-ten Mal erzählt, sich kaum wiederholt (okay, ein Kniff war, dass
Turner seine Akte bereits kannte) und immer wieder neue Bilder verwendet und
der Geschichte jedes Mal eine neue Nuance gibt. Ein Motto, das sich diese Mal
durch das Buch zieht, ist das der fünfzigprozentigen Chance. Seine
Möglichkeiten vergleicht „no middle name“, wie Kenner ihn nennen, an mehreren
Stellen mit der Chancenverteilung beim Münzwurf. Doch noch bevor man sich
darafu einlassen kann, fällt einem ein: „Dies ist das mathematische Element,
das in noch keinem Teil der Serie fehlte, ich hab’s durchschaut.“ Und das ist
nur spaßfördernd, wenn es die Geheimnisse im Plot betrifft und nicht die
Methoden des Autors.
Wenn Childs Romane irgendwann mal alle geschrieben sind und
sich Forscher mit ihnen so pedantisch auseinandersetzen wie Reacher mit seinen
Fällen, werden sie merken, dass es eigentlich immer nur ein Roman war. Nur eben
immer anders erzählt.
- Plot: (3/5)
- Action: (4/5)
- Spannung: (5/5)
- Charaktere: (4/5)
- Humor: (5/5)
- PASCH: (5/5)
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Lee Child, Never Go Back
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten Verlag: Delacorte Press (2013)
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