Thrillerkolumne

Thriller ohne Leserstrahlen ist wie Spenser ohne Boston, Behr ohne Indianapolis, Reacher ohne Army, Rain ohne Judo, Parker ohne Plan, Bolitar ohne Win, Forsythe ohne Whisky, McGee ohne Florida, Hank ohne Baseball, Duffy ohne Beemer...

Tidhar, Osama (4/5)

VIEL LÄRM UM VIEL

Joe ist der Protagonist in Lavie Tidhars Roman „Osama“. Er arbeitet als Privatdetektiv in der Hauptstadt von Laos und erhält eines Tages Besuch von einer verzweifelt wirkenden Dame. Wie klassisch. Sie bittet ihn, einen Mann zu finden.

Der Mann, den die Dame finden lassen möchte, heißt Mike Longshott. Er ist Autor einer Reihe von Schundheftchen. Thema dieser Heftchen sind wiederum die Terroranschläge eines Mannes namens Osama bin Laden. Von beiden hat Joe nie gehört. Und auch Kreditkarten (von der Dame erhält er eine schwarze für die Spesen: ka-ching), scheinen Joe nicht unbekannt aber ungewohnt.  

Auch sonst ist in der Welt von Joe vieles anders. Deswegen scheint der Roman eher Science-Fiction als Thriller, aber auch eher eine Pulp noir-Story als eine Paralleluniversen-Geschichte zu sein. Und dann ist da auch noch die Sache mit dem Rauschgift. Verwirrt? Das ändert sich auch während der Lektüre nicht. Erst auf der letzten Seite wartet Tidhar mit einer, dann aber doch recht eindeutigen, Auflösung auf.



Wie gesagt, in der Welt des Privatdetektivs Joe ist manches anders und vieles ungewohnt. Zwar spielt die Geschichte im heute; diverse moderne Technologien sind jedoch nie erfunden worden. Das erfährt der Leser aber nur, weil Joe von iPods und modernen Computern im Delirium träumt. Kennt er sie doch von irgendwo? Außerdem haben mehrere markante Ereignisse und historische Entwicklungen nie stattgefunden. Der Zweite Weltkrieg beendete die Zeit der europäischen Kolonialherren. Der Krieg der Amerikaner in Vietnam brach nie aus. All das erfährt man sehr unaufdringlich und verteilt über den ganzen Roman. Der wiederum entfaltet sich langsam. Joe begibt sich auf die Suche nach dem Autor der Buchreihe über einen Terroristen, der in der Welt dieser Bücher Anschläge auf der ganzen Welt verübt. Denn Joes Welt kennt keinen bin Laden - aber auch kein World Trade Center...


Jagd verwirrt

Paris, London, New York: Joes Weg führt zu den Schauplätzen der Anschläge von Al-Qaida (wenn sie denn stattgefunden hätten, haha, macht's mir nicht so schwer) und damit quer durch die Welt. Die Suche nach dem Autor der Romanfigur wird immer wieder durch die Reise Joes in ein neues Land und durch Textpassagen aus den Büchern unterbrochen. In diesen Passagen werden die Anschläge so geschildert, wie sie in unserer Realität stattgefunden haben. Gleichzeitig trifft Joe, der zahlreiche Züge klassischer Privatschnüffler trägt, immer wieder auf Opiumhöhlen, Verbündete und Gegner. Diese Gegner bemühen sich, Joes Suche zu sabotieren und ihn davon abzuhalten, mehr über den Autor der Osama-Bücher zu erfahren.

Vielleicht muss Tidhars „Osama“ mehrmals gelesen werden. Ganz bestimmt braucht man nach der Lektüre ein bisschen Bedenkzeit um die vielen Aspekte arbeiten zu lassen. Viele kurze Kapitel und einige lange sorgen für Tempowechsel und Brüche. Oft fürchtet man, Details zu verpassen – denn merkwürdig ist die Jagd nach Osama. Die letzten drei Seiten machen aus einem Roman, der schwerer war als erwartet, einen Roman, der mehr zum Träumen einlädt als man erhoffte.

Die PASCH-Skala-Problematik

(Dieses Mal fällt es natürlich echt schwer, eine Einordnung nach der PASCH-Skala vorzunehmen. Erst wollte ich mich drücken. Aber weil die PASCH-Skala alle Hindernisse überwindet, überwandt sie auch dieses.)


  • Plot: 4/5
  • Action 3/5
  • Spannung 5/5
  • Charaktere 4/5
  • Humor 3/5
  • PASCH: 4/5

P.S.: Das nächste Werk ist Warren Ellis' "Gun Machine". Das verspricht mindestens so aufgeregt aber nicht halb so verwirrt zu sein. Und blutig wird's auch.

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Lavie Tidhar,Osama
Solaris,2012